Geschäftlich oder privat: Warum Kleider (keine) Leute machen

von Kathrin Elfman

Über die ubiquotöse Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit wird viel geschrieben, philosophiert und regalmeterweise Regelwerk erstellt. Wie sich diese Trennlinie anzufühlen hat, weiß ich trotzdem nicht, denn: Es gibt sie in meinem Leben nicht. Bringt mein Beruf so mit sich.

Dann hatte ich eine Begegnung der skurrilen Art in der 12. Etage eines Hamburger Bürogebäudes. Mit einer Frau (Führungsposition), die drei verschiedene Terminkalender führt. Einen für ihr Büro, einen für sich, einen für ihre Familie. So weit, so unübersichtlich. Was mich ins Schleudern brachte, waren die zwei verschiedenen Kleiderschränke. Hinter der einen Tür, geduldig des Wochenendes harrend: bunte schicke Wohlfühlsachen, in denen diese Frau innerhalb von Sekunden zehn Jahre jünger zu werden und aufzublühen scheint.

Hinter der anderen Tür: maskuline Bürouniformen, neudeutsch Business-Outfits, die aussehen wie Sachen, die ein Mann anziehen würde, wenn er sich als Frau verkleiden müsste, die sich wie ein Mann anziehen soll (und weil es in diesem Schrank viel zu dunkel ist, um solche Sätze beim ersten Lesen erfassen zu können, noch einmal: Sachen, die ein Mann anziehen würde, wenn er sich als Frau verkleiden müsste, die sich wie ein Mann anziehen soll.)

Meine Frage, wie es ihr damit ginge, mit den Terminkalendern und der Verkleidung, beantwortet sie ausweichend. Nicht gut. Aber muss ja, sagt sie. Mit einem Blick, der mir ans Herz geht. Was muss? Und muss es wirklich?

Wie wichtig ist es, sich bei seiner Arbeit als lebendiger Mensch, als authentisches Individuum fühlen zu dürfen und sich privat nicht allzu weit vom Broterwerb distanzieren zu müssen? Ist diese Trennung zwischen Job und Privatleben sinnvoll? Oder nur ein Zugeständnis an eine imaginäre Autorität, die bei Licht betrachtet wie ein Silberfischchen hinter der Fußleiste verschwindet? Nein, ich glaube nicht an Hierarchien, die Symbole benötigen, um erkannt zu werden. Ich glaube an Menschen. An Persönlichkeit, Charakter, offene Augen, Liebe, ein wohlwollendes Herz. Verbitterung und Intriganz fühlen sich auf handschuhweichen, bandscheibenfreundlichen Kalbsledersesseln ebenso zuhause wie auf dem schranzigen Plastikstuhl in der Kantine um die Ecke.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen meiner Aushilfsjobs vor vielen Jahren, als ich in einer Fabrik abwechselnd Gabelstapler fuhr und eine große grüne Maschine bediente, die mit viel Krach aus klotzigen Metallteilen diebstahlsichere Radmuttern für Luxuslimousinen zauberte. Krawummmmm. Kernige Angelegenheit. Es war laut, heiß, stank nach Hydrauliköl, Gummi und Metall, ich trug einen Männeroverall Größe 52 und Sicherheitsschuhe, in denen ich mich grazil wie eine Wanderbaustelle bewegen konnte, und ja, es hat Spaß gemacht.

Zweimal geschah etwas Verrücktes: Ein Mehrheitsaktionärswesen näherte sich, und aus den gestandenen Kerlen in der Halle wurden transpirierende verhuschte Männlein, deren Selbstbewusstsein (Selbst! Bewusst! Sein!) sich so ruckartig verkleinerte wie die Metallteile in der Maschine. Dieses Besuchswesen ging völlig selbstverständlich davon aus, dass die laut Stechkartenaufdruck niederrangigeren Wesen sich unterlegen fühlen. Wie absurd ist das? Und was war zuerst da? Das Vorstandsei oder die Assistentenhenne? Das abstrakte Respektsgefälle von Businesslunch nach Großküche? Oder die irrationale Angst vor Nadelstreifen, welche das Unbehaglichfühlen wie eine chemische Reaktion auslöst?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Nein, ich bin keine linke rote Socke, die gegen das Großkapital wettert. Ich bin klassenlos, in jeder Hinsicht. Ich mag Geld, und Geld mag mich. Mit viel Geld lassen sich schöne Sachen anstellen, also warum sollte ich was dagegen haben? Und ich mag Leute, die das mögen, was sie tun und sich weder dafür in den Himmel heben noch im Staub wälzen. Hierarchie ist eine Illusion, eine Option. Es gibt sie nicht, es gab sie nie, und es wird sie nie geben. Sie gewinnt einzig dadurch an Kraft, dass Menschen sie als existent anerkennen.

Szenenwechsel. Als Bonn noch Hauptstadt war, ich noch als TV-Redakteurin arbeitete und in D-Mark bezahlt wurde, durfte ich zwecks Recherche einmal auf der Bonner Hardthöhe im militärischen Alltag zu Gast sein. Inklusive Manöver, Stubendurchgang, Kasernenessen (gulp) und Morgenappell. Beim ersten Gruß bekam ich einen Lachkrampf. Wie kann jemand einen Mann ernst nehmen, der sich in ungesunder Haltung auf einen Platz stellt und anfängt, Leute vollzubrüllen? Wäre auf seiner Oberbekleidung nicht eine weihnachtsbaumtaugliche Menge Lametta festgenäht, man würde ihn auslachen, ihn um eine zivilisierte Kommunikationsattitüde bitten, ihm einen Kaffee spendieren oder auf die Schnauze hauen. Respektable Autorität sieht anders aus. Sie braucht keine Uniform, sondern Kompetenz, Eloquenz, hellwachem Geist, Wortwitz, Allgemeinwissen, Lebenserfahrung und ein paar Sekundärtugenden. Ob diese nun dienstlich, privat oder gestreift sind, ist mir persönlich egal.

4 Kommentare zu „Geschäftlich oder privat: Warum Kleider (keine) Leute machen

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  1. Sehr schön und wahr. Und nun noch ein großes Dankeschön für die Mühe, deine Texte zu schreiben und auch noch kostenlos zugänglich zu machen! 🙂

    1. These: Aus dem selben Grund, warum Menschen wählen gehen. Der Glaube an die Illusion. Der Wunsch, geführt zu werden, um keine eigenen Entscheidungen treffen, keine Verantwortung für das eigene Sein übernehmen zu müssen. Weil da ja ein sprechender Tannenbaum ist, der vorgibt, was »man« zu denken, fühlen und zu tun hat. Ja, und die Angst vor der Erkenntnis, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen….

  2. Und da ist es wie immer gewesen. Ich werde nie vergessen, dass mir bei einem Vorstellungsgespräch im tiefsten Winter – ich trug einen wollweißen Cordanzug – gesagt wurde, dass ich so nie inde r Firma herumlaufen „dürfe“. Nur, dass ich es wisse. Es habe schon mal jemand einen Job nicht bekommen, weil er sich geweigert habe, die Cowboystiefel gegen „Businessschuhe“ zu tauschen. Unvergesslich 🙂

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