Gesinnungs-Exhibitionismus als Umsatzkiller

Ja, ich klicke manchmal auf sponsored Ads. Nicht auf viele. Nur auf die besonders mies getexteten. Weil mich aus morbider Neugier interessiert, wer sie verbrochen hat. Heute ist es eine Naturkosmetikfirma, die eine Gesichtscreme anpreist. Das bis zur Unlesbarkeit durchgegenderte FB-Post trieft vor inhaltsfreien Begriffen wie »fair«, »klimaneutral«, »inklusiv«, ja nicht mal das unsägliche »nachhaltig« fehlt. Der Text hat mit der angebotenen Kosmetik so wenig zu tun, dass er auch von einer Papierfabrik oder Tankstellenkette stammen könnte. Als Lektüre unlustig, als Forschungsobjekt ideal.

Der Klick führt mich zur Landingpage des Kosmetikherstellers. Hurra. Eine LP mit integriertem Shop dient dazu, das beworbene Produkt kennenzulernen und im Idealfall schnell und barrierefrei in den Warenkorb legen, bezahlen und kaufen zu können. Nicht hier. Der Gesinnungsschmus aus dem Facebook-Post geht mehrere Screens lang unverändert weiter, nur in größeren Buchstaben. Ich scrolle, wische und hoffe, irgendwann zu erfahren, was in der Creme drin ist, was sie kostet, und ob es Kundenrezensionen bzw. Erfahrungsberichte dazu gibt.

Statt Produktinformationen finde ich einen auf Political Correctness getrimmten Wortschwall, der mir erklärt, dass die Tube aus 87% recyceltem Plastik besteht, der Umkarton CO2-neutral ist, man bei der Mitarbeiter*innenX*auswahl auf Chancengleichheit achtet und mit jedem verkauften Produkt wahlweise eine Kriegspartei in Osteuropa, ein Agrarprojekt in Ruanda oder eine schwäbische LGBT-Jugendgruppe unterstützt. Dieses ranschmeißerische »guck mal, wie gut wir sind« wirkt kalt, arrogant, lieblos, extrem unsympathisch. Und was in der Creme drin ist, weiß ich immer noch nicht. 

Eine These keimt in meinem Texterhirn

Vielleicht ist das Gefasel ja nicht inkompetent, sondern im Gegenteil »innovativ«? (Bah, noch so ein Marketing-Nullwort, gerne gepaart mit »Technologie«.) Vielleicht ist diese Firma in Wahrheit eine ziemlich ausgeschlafene Forschungsanstalt, die rausgefunden hat, dass sich Rosazea oder Allergien durch ideologisches Geschwafel beeindrucken lassen, und die INCIs sind folglich irrelevant? Spontanheilung durch ins-Koma-Labern fehlgesteuerter Hautzellen? Ja, ich weiß. Wunschdenken. Die Verfasser sind weder innovativ noch originell, sondern können ganz einfach nicht klar schreiben, klar sprechen und klar denken. (Vielleicht hätten sie jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt – um mal einen uralten Claim zu bemühen, der damals supergut funktioniert hat.)

Beim anschließenden Mittagspausenspaziergang mit Kreativkollegen stellt sich raus: Ich bin mit meiner Wahrnehmung nicht allein. So ähnlich wie mir geht es vielen, die nicht blind und taub durch den digitalen Blätterwald spazieren. Vom regionalen Lebensmittel-Lieferdienst bis zu internationalen Messegesellschaft kolportieren Firmen ideologisch verbrämtes Gewäsch, das wenig bis nichts mit den angebotenen Produkten und Leistungen zu tun hat.

Ob Klima, Pandemie, Ukraine oder Genderwahn – kein Thema scheint abgeschmackt genug zu sein, um nicht per »je suis« und »I stand with« zum Demonstrieren einer halluzinierten moralischen Überlegenheit missbraucht zu werden. Werbetreibende haben offenkundig vergessen, wer sie sind, wer sie bezahlt, und worum es bei Kommunikation geht. Für den angepeilten Kunden, der klare Informationen sucht, heißt das übersetzt: »Ja, wir verplempern deine Zeit, aber das immerhin klimafreundlich, genderneutral, politisch korrekt, fair getradet, tolerant und inklusiv.« Von Begeisterung, Liebe, Empathie oder Hingabe an das eigene Produkt keine Spur. Traurig ist das. Wenn der Werbetreibende sein Produkt schon nicht mag, wie sollte es dann ein potenzieller zahlender Kunde tun?

Den Planeten retten

Röchel. Die wohl peinlichste und aktuell am häufigsten strapazierte Phrase der Werbegeschichte. Ob Mandelmilch, Automarke oder Stromanbieter – an jeder Ecke behauptet eine Marke, den Planeten retten zu wollen. Heiliger Größenwahn. Die Betreffenden schaffen es ja nicht mal, in klaren Worten ihre eigenen Angebote zu verkommunizieren und behaupten, einen Teil unserer Galaxie retten zu wollen?! Als Planet würde ich mir das verbitten. Man lässt sich ja von einem Konditor auch nicht die Mandeln rausnehmen.

Wann ist das passiert? Wann rutschte dieses Ideologie-Geschwurbel an den Platz, an dem früher Leistungen, Angebote, Produkte und Informationen in den öffentlichen Dialog eingehängt waren?

Fußball in Katar boykottieren. Russland boykottieren. Kohlekraftwerke boykottieren. China boykottieren. Die Ukraine boykottieren. Oder unterstützen? So genau ist das bei manchen Kommunikationsmitteln nicht erkennbar. Manchmal erkennt man nicht einmal, ob der Absender Frühstücksflocken, Feinstaubfilter oder Fusselbürsten verkauft, so austauschbar sind die Gesinnungsphrasen. Puffreis gegen Rechts, Radieschen gegen Links, Thermounterwäsche gegen Kinderarbeit, Tampons gegen Putin, Spielfilmabo gegen CO2, vegane Pfannkuchen gegen Atomkraft. Irgendwer ist immer böse und muss gedisst werden. Irgendwer ist immer gut und muss unterstützt werden. Sitzt, passt, wackelt und nervt.

Und was hat das mit Hautpflege zu tun?

Nichts. Das ist es ja. Original gar nichts. Deshalb an dieser Stelle ein freundlicher Hinweis an die Möchtegern-Werbelyriker: Bitte lasst den Schwurbel bleiben! Es sei denn, ihr seid eine Partei, Kirche, Sekte oder Elvis. Dann verzeiht man euch diese Sprache. Aber nur dann. Ansonsten gilt: Sag’s einfach, wie es ist.

  • Beschreibe das Produkt oder die Leistung präzise, wahrheitsgemäß und eindeutig. (Statt ein Metafass aufzumachen, das den Leser gedanklich im 90 Grad Winkel aus der User Experience rauskickt.)
  • Sprich darüber, was ein Kunde davon hat, wenn er das Produkt kauft. (Statt ihm ungefragt eine politische Haltung aufzuzwingen und ihm vorzuschreiben, was er zu denken hat.)
  • Wenn das Angebot was taugt ist, spricht es bei einer klaren, konkreten Beschreibung für sich selbst und braucht keinen ideologischen Booster. 
  • Wenn es Schrott ist, macht moralinsaurer Schmus es nicht besser.
  • Halte die Zielgruppe nicht für dümmer als sie ist. Beim Blick in die Kommentarspalte unter den Bezahlposts wird nämlich schnell klar, dass den allermeisten Usern die Ideologiegülle inzwischen zu den Synapsen wieder rauskommt, und das teilen sie den Werbetreibenden auch herrlich unverblümt mit. Inklusive Scam/Spam-Meldung an den Plattformbetreiber. 

Was in der Creme drin ist, habe ich nie erfahren. War mir nach der Überdosis Politschwurbel dann auch egal. Und weil der grüne Smoothie im Kühlregal auf dem Flaschenetikett zwar behauptet, »gut für den Planeten« zu sein, sich aber bezüglich seiner inneren Werte eher kryptisch gibt, trinke ich zur politisch unkorrekten Hausmacher-Currywurst lieber ein ehrliches fränkisches Bier.

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Foto: Pixabay

Text: Kathrin Elfman © 2022

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2 Antworten auf „Gesinnungs-Exhibitionismus als Umsatzkiller

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  1. So isses.
    Wenn es schon damit anfängt, was „wir“ alles machen, um das Leben erträglich und/oder den Planeten, äh, sorry, Planet:innen und Planet:außen und Planet:x heil zu machen, stellts mir schon die Nackenhaare auf.
    *klonk*

  2. Ja!! Genau das hat mich dieses Jahr auch bei der Buchmesse-Werbung regelrecht angewidert. Jeden Tag diese gesponsorten Posts im Feed, in denen stammelnde Werbefiguren wie Luisa Neubauer als Autor:innen und sogenannte TikTok Content Kreator:innenX als „Stars” und Expert:innen gehypt wurden. Unterstes Niveau. Leider keine Satire.

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