Fahrscheinziehen reloaded

Tatort: ein Bahnhof im Rhein-Main-Gebiet. Ich hab’s eilig, will nach Hause, hechte auf den Bahnsteig und lese »S1 Wiesbaden in 4 Minuten« in der Fahrplananzeige. Hurra. Noch schnell das Ticket ziehen, wie immer. Denkste. Das Universum hat beschlossen, mir eine Lektion in Vergänglichkeit zu erteilen.

Der vertraute Fahrkartenautomat wurde durch einen Monolithen mit unheilvoll pulsierendem Touchscreen ersetzt. Ohne Bedienungsanweisung, ohne Tastatur. Ich versuche, die Funktionsweise zu erfassen. Noch drei Minuten. Eine Leerzeile blinkt einladend, darunter prangt ein virtuelles Tastenfeld. Probehalber tippe ich auf das »W«  – und pralle zurück: Über das Display wimmeln sämtliche deutsche Städtenamen, die mit W beginnen. Nun finde ich die Vorstellung, mit der S-Bahn nach sagenwirmal Weimar zu fahren, zwar abenteuerlich, aber erstens wüsste ich nicht, was ich da heute sollte, zweitens habe ich Hunger und drittens einen Abgabetermin. Durch Eintippen der Buchstaben »iesb« bringe ich das System dazu, mit mir zu kommunizieren. »Sie wollen nach Wiesbaden?«, fragt es scheinheilig. Ich nicke und warte. Nichts passiert. Dann sehe ich eine nahezu unsichtbare Textzeile am rechten Bildschirmrand flimmern, die »Eingabe bestätigen« lautet. Ja toll, wo denn? Weit und breit keine Enter-Taste. Ich tippe auf »weiter« – und bin wieder am Anfang. Grrrrrrrr. Nochmal von vorne. Diesmal bin ich schlauer und drücke zur Eingabebestätigung auf die Textzeile, in der das Fahrziel steht. Abwegig? Unlogisch? Bescheuert? Stimmt. Aber es funktioniert. Von der Ticketausgabe sind wir allerdings noch weit entfernt.

Der Monolith scheint einsam zu sein, jedenfalls zieht er unsere Begegnung arg in die Länge. Ob ich eine Tages-, Wochen- oder Monatskarte will, fragt er. Heim will ich! Irgendwie gelingt es mir, das Mehrfahrtenmenü zu verlassen. Nicht so hastig, mein reiselustiger Freund, mahnt der Monolith und zaubert eine weitere Zwischenseite auf den Schirm. Das vor-9-Uhr-Ticket solle ich mir ansehen, unbedingt, sofort, und einen halben Euro sparen, außerdem gäbe es da noch das Feierabend-Ticket. Dass es 13:49 Uhr und weder Morgen noch Feierabend ist, scheint dem Ding nicht bewusst zu sein. Was soll’s, Zeit existiert ohnehin nicht, signalisiert es mir larmoyant und lässt die gesamte Eingabe noch einmal durchs Display wandern, um mir anschließend den Betrag zu präsentieren, mit dem ich den Fahrschein aus seiner Geiselhaft freikaufen kann.

Ich stecke die geforderte Summe in den Münzeinwurf. Der Monolith entpuppt sich als Gourmet und klötert mein Münzgeld unverdaut dort wieder raus, wo eigentlich die Fahrkarte erscheinen sollte. Hmpf. Kein Problem, denke ich und zücke Papiergeld. Aber wohin damit? Am Automatengehäuse befinden sich oben rechts und unten rechts je ein Schlitz. Der obere hat Kreditkartenbreite, woraus ich schlussfolgere, dass der untere mehr Appetit auf Geldscheine verspürt. 5- und 10-Euro-Scheine scheinen ihm zu popelig zu sein, sie werden erfasst, unter vernehmlichem Schmatzen probegelutscht und glattgebügelt wieder ausgespuckt. Oh toll, ein Fax für Geldscheine. Erst mit einem 20-Euro-Schein gibt sich das Ding zufrieden, zerkaut ihn in Wechselgeld und erzeugt eine Fahrkarte. Gerade rechtzeitig, um damit der davonfahrenden S1 nachwinken zu können.

5 Antworten auf „Fahrscheinziehen reloaded

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  1. Dies Userinterfaces sind manchmal wirklich ein greul. Hier in Berlin ist die Ausgabezeit der Fahrkarte für der Nahverkehr oft auch eine zeitraubende Erfahrung. Selbst wenn man den Dialog schon auswendig kann kann man da mehrere Minuten mit zubringen. Wenn man sich zu Beispiel eine 4er-Karte mit EC-Karte kauft sind das schon locker mal 5 Minuten. Ausgabe 1 von 5, 2 von 5, 3 von 5, 4 von 5, 5 von 5. Vier einzele Tickets plus Quitung für EC. Ich kann mich erinnern früher gabe es eine Fahrkarte die oben und unten auf jeder Seite eine Stempelmöglichkeit hatte. Sie schreiben schon drauf das die Ausgabe länger dauern kann … aber was soll das Mitgefühl, wenn einen die U-Bahn dann vor der Nase wegfährt – da überlegt man sich dann schon mal wenn man es eilig hat doch nur einen einzelfahrschein zu kaufen und auf die 0,10 € oder 0,20 € zu verzichten die man sparen würde.

    Gruß aus Berlin

    Mike

  2. Liebe Kathrin Elfman,

    ja, was Du beschreibst, kenne ich auch sehr gut. Ich freue mich, Deine schöne Seite jetzt zu kennen und habe Dich auch bei uns verlinkt. Du findest den Link unter Germanys next Kabinettsmitglieder stellen sich vor … . Wenn Du magst, kannst Du mir auch via FB Geschriebenes schicken, was in irgendeiner Weise das Thema ‚Liebe‘ umfasst. Dieses poste ich sehr gerne in unserem Minstry of Love.

    Ich freue mich, von Dir zu hören. Bis bald wieder.

    LG,
    die Social Secretary

  3. Ja, diese Erfahrung habe ich (warum gerade hier im Rhein-Main Gebiet?) leider auch schon oft gemacht. Obwohl ich aus dem IT-Umfeld komme bin ich trotzdem verwirrt aufgrund der wirren Benutzerführung neuzeitlicher „Automaten“ (steht das nicht für automatisch?)… Meine Mutter wäre froh, wenn Sie die Fahrkarte einfach bei einem Menschen kaufen könnte!

    Klicke, um auf DB_Fahrkartenautomat_neu_Flyer.pdf zuzugreifen

    Man beachte: Noch schneller und einfacher… 😀

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