Elf Tipps für bessere Geschichten

Nachdem es in »Elf Tipps für bessere Texte« um Auftrags- und Werbetext ging, sprechen wir heute über eine Situation, die vor allem Romanschreiber kennen (und manchmal fürchten): eigene Stoffe präsentationsreif machen und pitchen. Ja, knifflig! Aber der schmale Grat zwischen »supergute Geschichte, her damit« und »näh, wollemernet« muss keiner sein. Und los geht’s. Wie immer höchst subjektiv, ohne wissenschaftliche Beweisführung, frei Schnauze live aus dem Autorenalltag. Vielleicht hilft’s;-)

1. Was für eine Situation: Du triffst in der Kaffeebar im Terminal 1 die Verlegerin, bei der Du in vier Wochen einen Pitchtermin hast. Ihr wartet auf die selbe Maschine. Die Verlegerin, ganz Profi, fragt: »Und? Woran arbeiten Sie?« Dingdingding, Jackpot! Nun hast Du zweieinhalb Minuten, um genau den Deal an Land zu ziehen, der auf »normalem« Wege Monate dauern würde. Ach, sowas passiert nicht? Ist unrealistisch? Hahahahahaha! Wir sprechen uns in Punkt 8 nochmal. Jedenfalls, als Autor muss man darauf vorbereitet sein, auf Zuruf pitchen zu können. Stotterfrei, mitreißend, bildstark, prägnant. Also Kurz-Exposé verfassen und üben, üben, üben! Mit Mitbewohnern, Familie, Nachbarn, dem Hund oder dem Pizzaboten. Nicht erst, wenn das Manuskript fertig ist, sondern am besten vom ersten Schreibtag an. Warum? Weil sich durch das laute Aussprechen die Geschichte automatisch verbessert. Logische Brüche oder umständliche Verwicklungen fallen so eher auf, als wenn man still vor sich hintippt.

2. Facebook-Profil stillegen und die gesparte Zeit zum Schreiben verwenden.

3. Schöne Bilder, überraschende Wendungen – und wie fühlt es sich an? Streng genommen verkaufen wir Belletristik-Autoren keine Storylines, Plots, Prologe und Epiloge. Wir verkaufen Gefühle. Leidenschaft. Atmosphäre. Gänsehaut. Herzklopfen. Atem anhalten. Drama. Angst. Bestürzung. Mitfiebern. Euphorie. So, dass nicht nur der Leser die Heldenreise mitfühlen kann, sondern bereits beim Pitch im Verlag der Funke überspringt. Klar, Lektoren fragen nach Hardfacts. Kriegen sie ja auch, dazu gibt’s das Exposé. Aber über ein Ja oder Nein entscheidet letztendlich das Gefühl, das die Geschichte beim Gegenüber auslöst. Also: Sag nicht, dass Du eine Komödie geschrieben hast. Sondern erzähl die Story so, dass Dein Gegenüber sich spätestens beim Andeuten des Plots kaputtlacht!

4. Nur über Sachen schreiben, von denen Du wirklich was verstehst. Immer. Grundsätzlich. Nicht verhandelbar. (Angekommen?)

5. Titelkraft wirken lassen. Oft wird die gewaltige Energie unterschätzt, die in einem Arbeitstitel steckt. Deshalb: keine halbgaren Arbeitstitel mitschleppen, sondern unbedingt VOR dem Fertigschreiben Zeit und Kreativität in die Titelfindung investieren und dabei bleiben. Dies fällt umso leichter, je deskriptiver, origineller und neugierigmachender der Titel ist. Jedes Mal, wenn Du über das Projekt redest, nachdenkst oder schreibst, wird dieser Titel mit Energie gefüttert. Er wird zum Traktorstrahl, auf dem die Story ihrem Plot und dem Finale entgegenstrebt. Wird an diesem Titel zu oft rumgedoktort, schwächelt auch die Story. Feedbackschleife und so.

6. Ob Protagonisten oder Nebendarsteller: Figuren sind keine Papierwesen, sondern haben Namen, Biografien, Backstorys, Stimmen, Ängste, Vorlieben, Identität, Leben. Je detaillierter, umso lebendiger. Jeder Autor, der bereits ein paar Projekte fertiggestellt hat, kennt diesen magischen Moment, in dem die Figuren aus dem Buch ins Leben springen, ein Eigenleben entwickeln und aktiv im Geschehen mitwirken. Gut so, denn dadurch werden Geschichten erst fühlbar! Leider erschließt sich vielen Gesprächspartnern auf Verlagsseite dieser Sachverhalt nicht, weshalb sie sich gerne mal mit dem Feingefühl einer Braunkohleförderanlage als Hobbyschriftsteller betätigen und einen charismatischen Helden zu einem strunzlangweiligen verhunzen. Wenn man sie lässt;-)

7. Ja, es gibt geniale Geschichten, die kommen ohne wörtliche Rede aus. Aber bei Unterhaltungsliteratur sind Dialoge das Salz in der Buchstabensuppe. Gute Dialoge sehen auf den ersten Blick gar nicht so aus. Sie bestehen aus Halbsätzen, Kraftausdrücken, Widersprüchen, semantischen Kuriositäten, schrägen Witzen und dialektbedingten Phantasiewörtern. Was das heißt? Die Ghettobitch aus dem Pott spricht anders als das Zahnarzttöchterchen vom Starnberger See. Einfach mal zuhören: in der S-Bahn, im Bistro, im Wartezimmer, in der Kassenschlange, am Infoschalter im Baumarkt, im Park, im Sportstudio … Das Rohmaterial für gute Dialoge entsteht nicht im stillen Autorenstübchen, sondern draußen, wo Menschen miteinander reden!

8. Authentisch bleiben. »Diese Wendung ist totaaal unrealistisch, sowas passiert niemals.« Auch schon gehört? Klar. Das beliebteste Totschlagargument von Lektorinnen mit allzu schmalbandiger Lebenserfahrung. Wer als Autor noch nicht sicher genug im Sattel sitzt, um seinen eigenen Geschichten zu vertrauen, fällt drauf rein. Lasst euch nicht kirre machen, liebe Kollegen! Wenn euch so ein ahnungsloses Hühnchen gegenübersitzt und eure Story mit Gewalt auf Vorabendserien-Format downsizen will, steht einfach auf und sucht euch ein erwachsenes Gegenüber, mit dem ihr auf Augenhöhe sprechen könnt.

9. Schon mal von non-linearer Struktur gehört? Wenn nicht: ergoogeln, lesen, verinnerlichen und umsetzen. Ob als Einzelexperiment oder als stilprägendes Kennzeichen für alle Projekte, es lohnt sich, diese Erzähltechnik zu erlernen!

10. Nicht alles zu Tode erklären. Auf Seite 612 bricht ein Konflikt aus, der auf Seite 489 zwar angedeutet wurde, seitdem aber nur im Untergrund schwelt und die Handlung von dort aus vorantreibt? Super! Ja, es kann sein, dass ein paar Leser und Lektorinnen das nicht kapieren. Und? Bitte einen gelungenen großen Spannungsbogen nicht in fünf kleine zerhacken, nur damit der letzte Wetten-dass-Zuschauer es auch schnallt.

11. Den »Fish out of water« immer mit Reserve-Aquarium ausstatten. (Nein, ich meine nicht den Film.) Von Fish out of water spricht man, wenn völlig Gegensätzliches in einer Geschichte auf einmal koexistieren oder gar interagieren muss. Ein begnadeter Molekularbiologe, der plötzlich aus seinem sozialen und beruflichen Umfeld gerissen wird und sich als Obdachloser durchschlägt. Ein Stadtkind, das umzugsbedingt in eine Dorfschule wechseln muss. Ein Eichhörnchen, das beschließt, den Kobel im Nussbaum zu verlassen und sich im Maintower einquartiert. Ein Komapatient, der nach 43 Jahren aufwacht und sich in der Welt zurechtzufinden versucht. Großartige Storybasics, die aber, damit sie funktionieren, ein Auffangbecken benötigen, in das der Protagonist am Ende als Held (tragisch, erfolgreich oder tot) springen kann. Gilt auch für offene Schlüsse. Und wem die Metapher noch nicht klar ist, einfach mal drüber nachdenken. Wird schon;-)

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