Wer ist »man«, und warum?

von Kathrin Elfman

Wer ist »man?« Ein vom Unterbewusstsein konstruierter semantischer Gefechtspanzer, aus dessen Schutz heraus sich mörsern lässt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Weil »man« praktischerweise das »Ich« von jeglicher Verantwortlichkeit entbindet?

Dialog heute früh.
Gudrun: »… hat man sich zusammengesetzt und drüber geredet.«
Ich: »Wer hat sich zusammengesetzt?«
Gudrun: »Ich und die Kollegen. Man wusste ja nicht, wie man damit umgehen soll. Später hat man entschieden, es doch nochmal miteinander zu versuchen. «
Ich: »Moment, ich komm nicht mit. Wer hat das entschieden?«
Gudrun: »Frau Schröder und ich. Man hat sich Gedanken gemacht. So leicht löst man ja ein eingespieltes Team nicht auf, schon gar nicht vor Weihnachten. Man muss auch ans Messegeschäft nächstes Jahr denken.«
Ich: »Wer hat sich Gedanken gemacht, und wer muss an die Messe denken?«
Gudrun: »Herr Breisinger und Herr Munz.«
Ich: »Ich dachte, du und Frau Schröder?«
Gudrun: »Nein, man hat dann auch gleich seinen Urlaub eingereicht.«
Ich: »Ich fürchte, ich werde die Frage bereuen, aber wer hat wessen Urlaub eingereicht? Herr Munz?«
Gudrun: »Frau Schröder. Man wollte ja am liebsten kündigen, aber …«
Ich: »Wer wollte kündigen? Frau Schröder?«
Gudrun: »Nein, ich.«
Ich: »Du willst deinen Job kündigen?«
Gudrun: »Man hat dann nochmal drüber nachged…«
Dialog zu Ende.

»Man« erlebt derzeit ein Comeback. Die dissoziationsfördernde Nebelkerze schwappte, nicht nur zum Schrecken der Kommunikationswissenschaftler, nach der Wende aus der ehemaligen DDR zu uns und ersetzte vorübergehend sämtliche Personalpronomina im Nominativ. Ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie – alles hieß »man.« Ende der 90er schien es überstanden, doch aktuell erinnert sich der kollektive Geist daran. Wird dieser Trend dadurch begünstigt, dass Massenmedien seit einer Weile penetrant behaupten, »ich« sei ein pöses Wort und stünde für unangebrachten Egoismus? Wie kann ich ein »Du« formulieren, wenn das »Ich« so verkleinert wird, dass es unter der Fußmatte Turmspringen üben kann? Ist die Flucht ins »man« ein nachvollziehbarer, weil allzu menschlicher Ausweg, um nicht ganz verstummen zu müssen?
Hmmmm … nicht gut das.

Abgesehen davon, dass es mir unmöglich ist, einem beschriebenen Sachverhalt zu folgen, wenn alle Beteiligten »man« heißen, finde ich dieses Synapsenmikado soziotoxisch. Wer ist »man?« Ein vom Unterbewusstsein konstruierter semantischer Gefechtspanzer, aus dessen Schutz heraus sich mörsern lässt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Weil »man« praktischerweise das »Ich« von jeglicher Verantwortlichkeit entbindet?

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mehr–> www.elfman.de

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6 Antworten auf „Wer ist »man«, und warum?

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  1. Was germanistisch natürlich Blödsinn und auch nicht Thema des Blogs ist, aber das wissen Sie selbst 😉 Ich bin übrigens als Ost-West-Pendler von Kindesbeinen an ebenfalls »gelernter DDR-Bürger«, nur mit zweistaatlichem Sprachschatz. Weshalb ich die angstinduzierte Semantik der »Zone« nicht als konditioniertes Subjekt erlebt habe, sondern im direkten Vergleich mit Westdeutsch durch das ständige Wechselbad des Ost-West-Duktus. Trotzdem danke!

  2. Reblogged this on Germanys next Kabinettsküche und kommentierte:
    Sehr treffend! Mich irritiert dieses ‚man‘ ebenfalls. Ich hatte es allerdings nicht als DDR-Sprachrelikt verortet, sondern in die Heidegger-Ecke gestellt. Wie auch immer, ‚Ich ist ohnehin ein Anderer‘ und jetzt verstehe ich auch, weshalb Du hier in Germanys next Adventskalender dieses ominöse ‚wir‘ so nervend fandest. Es sind ‚Reizwörter‘ für Dich.
    Wie auch immer, in der Kabinettsküche gibt es immer Kaffee für Dich …
    Lieben Gruß,
    Renate

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