Hände weg von meinen Falten!

von Kathrin Elfman

Besuch beim Hautarzt. Alle 5-10 Jahre lasse ich meine gefühlten zwei Millionen Sommersprossen kontrollieren, um sicherzugehen, dass sich keine davon heimlich in etwas Unlustiges verwandelt. Der Hautarzt ist nicht nur Hautarzt, sondern auch plastischer Chirurg. Was mich grundsätzlich noch nicht misstrauisch stimmt, schließlich arbeite ich auch interdisziplinär.
Nachdem er alle Sommersprossen inspiziert und für gesund befunden hat, will ich mich wieder in Jacke und Mütze wickeln. Doch sein Blick beißt sich in meinem Gesicht fest, und er studiert es eingehend. Ich überlege. Spinat an der Backe? Eichhörnchen hinterm Ohr?

»Frau Elfman, sagen Sie mal …«
»Ja?«
»Liegen Schlupflider bei Ihnen in der Familie?«
»Keine Ahnung, warum?«
»Weil man die heutzutage nicht mehr haben muss.«
»Hä?«
»Und diese Zornesfalte, die brauchen Sie doch auch nicht.«
»What?«
»Man könnte auch die Mundpartie ein wenig anheben, so …«
Sprach’s und drückt in meinem Gesicht rum, als sei ich die Wiederbelebungspuppe im Erste-Hilfe-Kurs beim DLRG.
»… und die Augen ein wenig öffnen.«
(meine Augenbrauen himmelwärts knautsch)
»… und das Unterlid reduzieren wir natürlich!«
(meine Mini-Tränensäcke wegzieh)
»Die Krähenfüße machen wir auch gleich mit weg, das geht ganz schnell.«
(dehn, schieb)
»Und wenn man die Oberlippe nur ein klein wenig unterspritzt, hier …«
(umpfhmmpfhhm?)
»… und die Unterlippe gleichen wir natürlich an.«
Grrrrr, jetzt reicht’s!

Ungefragt anfassen ist schlimm genug. Aber! Ungefragt anfassen in Kombination mit ungefragt an mir rummäkeln? Selbst wenn ich aussähe wie Keith Richards, wäre das keine gute Idee. Ich schaffe es immerhin, den Weißkittel nicht postwendend aus dem siebten Stock zu schubsen. Was ich nicht schaffe: diesen Übergriff stumm hinzunehmen und zu gehen.

»Doktorchen, also. Erstens werden Sie *beeep* mir nie wieder so ins Gesicht fassen, klar? Es sei denn, Sie wollen sich von einem Kollegen gleich Ihr *beep* renovieren lassen! Schon mal was von Selbstverteidigungs-Reflexen gehört? Unglaublich, wie *beeeeeepbeeepbeeeep* …«

(Weißkittel weicht angstvoll hinter den Schreibtisch zurück)

»Ach ja, und meine Krähenfüße gehen Sie einen feuchten *beeeeep* an! Mein Unterlid reduzieren? Ich reduzier Ihnen auch gleich was! Wenn Sie unbedingt *beeep* wollen, nehmen Sie *beep* Ihr eigenes!«

(Weißkittel linst unsicher in den Spiegel)

»Newsflash: Ich bin ein menschliches Wesen und lache, weine, zürne, arbeite, grüble, saufe, schwitze, kiffe, feiere, schneide Grimassen, vergesse das Abschminken und kriege Sonnenbrand. Das sieht man, und das ist gut so. Verstanden? Jede Falte in meinem Gesicht steht für etwas, das ich in den letzten 43 Jahren erlebt habe. Wie kommen Sie *beeep* auf die *beeep* Idee, ich würde auch nur eine davon weghaben wollen? Und so tun, als sei das nie passiert?«

(Weißkittel streicht resigniert das neue Penthaus vom Einkaufszettel)

»Ja, schauen Sie hin, genau für sowas gibt’s die Stirnfalte! Die gehört wie jede andere zum Vortrag! Sollte ich mich je fürs Zeugenschutzprogramm bewerben und ein neues Gesicht brauchen, melde ich mich vielleicht. Wahlweise auch zur Unkenntlichmachung nach erfolgreichem Banküberfall. Aber bis dahin bleiben meine Falten da, wo sie sind! Und jetzt schieben Sie sich Ihr *beeeep* Skalpell dahin, wo die Sonne nie scheint. Und ich meine nicht London!«

Zum Glück steht die nächste Sommersprossen-Inspektion erst 2018 an.

3 Antworten auf „Hände weg von meinen Falten!

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  1. Hochachtung für so eine Einstellung. Meine Einstellung dazu ist, Falten machen den Charakter eines Gesichtes aus. Ohne sehen wir alle gleich aus und wer will das schon? 😉

  2. Wunderschön beschrieben, mein Tag ist gerettet. Leider habe ich nun Schmunzelfalten im Gesicht. Ähhhhhhh, wo war Dein Doc nochmal???

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