von Kathrin Elfman
Das Wort an sich kann nichts dafür, dass es sich wie ein Schimmelpilz verbreitet. Es ist passiv, ein Kunstwort. Und doch, das sogenannte »Neuromarketing« gilt neuerdings als Pflichtdisziplin in meinem Beruf. Dabei sind die dahinter stehenden Wissenschaften alles andere als neu. Warum also jetzt? Und warum so simplifiziert?
Hirnforschung, Psychologie, Neurobiologie und die große Frage, was unsere Neuronen den ganzen Tag treiben, füllen regalmeterweise Bibliotheken. Bereits Planck, Einstein, Gurwitsch und natürlich der deutsche Physiker Fritz A. Popp verfolgten die These, dass Photonen als Botschafter zwischen menschlichem Geist und physikalischer Realität tätig sind. 1860 rief der Philosoph und Physiker Gustav Theodor Fechner die Disziplin der Psychophysik ins Leben und versuchte, durch die Verschmelzung von Physik und Philosophie die experimentelle Psychologie voranzutreiben, vgl. Weber-Fechner’sches Gesetz. Will sagen: Innovativ ist das Neurogefluffe keineswegs.
Ein Grund, warum ich meine Arbeit dem Wesen und der Wirkung unserer schönen Sprache widme, ist das dahinterstehende Warum in unserem Bewusstsein. Gibt es etwas Tieferes als die menschliche Seelennatur, den Wesenskern, der nicht nur existieren, sondern sich mitteilen, verstanden, angenommen und geliebt werden will? Das Wollen, Fühlen, Wünschen, Sehnen, das uns umtreibt? DAS ist es, was sich in unserer Sprache manifestiert. Dafür haben wir sie. Deshalb reden, schreiben, simsen und singen, twittern und tratschen wir miteinander. Und genau deshalb strebt unser Bewusstsein in einer quantenneurologischen Rückkopplungs-Schleife danach, über die Sprache inspiriert und geführt zu werden (geführt, nicht manipuliert!)
Warum Worte Wirklichkeit formen – und nicht umgekehrt
Da ist diese vage Empfindung, eine Sehnsucht. Noch hat sie keinen Namen. Dann formt sie sich, findet Begrifflichkeiten. Sie entstehen im Dialog zwischen namenlosem Wahrnehmen und bereits benannten Referenzerlebnissen. Diese entwickeln ein geradezu einserschülerhaft strebsames Resonanzverhalten mit dem (noch) Namenlosen und bringen es dazu, sich zu artikulieren, Ähnlichkeiten und Abgrenzungsmerkmale zu identifizieren, sich zu positionieren. Auf einmal ist da ein Wort, eine Beschreibung, Verstandenfühl, aaaah. Nach dieser Kongruenz strebt unser Bewusstsein.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis pfiffige Geschäftsleute diesen Seins-Aspekt in kommerzielle Arbeitsfelder überführen würden. Ist in Ordnung. Aber! Die dahinterstehende Motivation macht den Unterschied. Angst vor Kontrollverlust, Dominanzanspruch, Unlauterkeit? Gewinnmaximierungsstreben, Eitelkeit stillen? Soll der intuitiven, kohärenten Lösungsfindung aus reiner Fehlervermeidungsparanoia ein starres Regelwerk übergeordnet werden? Dann bitte aufpassen, denn diese Motivationen sind kontraproduktiv. Sie karikieren wissenschaftliche Erkenntnisse zu Instant-Präparaten, Schablonen, Wunderpillen fürs Bewusstsein. Haps, juhu.
Werber und Marketingmenschen klammern sich daran, erstellen Schablonen, würzen sie mit Esoterik, leiten Regeln daraus ab und stülpen sie einer imaginären Zielgruppe über. Right- und Leftbrainer, NLP, Multisensorik am POS mit Gucken, Tasten, Hören, Schnuppern, hurra, schon haben wir ihn im Sack, den Kunden. Wirklich? Denkste! Warum? Weil der wichtigste Aspekt fehlt: echte Empathie.
Kognitive Perspektivenübernahme als heiliger Gral der Werbung?
Gut, ich habe leicht reden (oder auch nicht.) Ich kann Dinge so formulieren, dass sie in Herz, Hirn und/oder Bauch treffen und die gewünschte Resonanz entfalten. Klingt wie Manipulation, ist aber genau das Gegenteil davon. Denn ich kann dies nur, wenn’s um die Belange Dritter geht. Sobald ich versuche, es zu meinem eigenen Vorteil zu tun, geht die Sache schief. Ungefähr wie bei einem Chirurgen, der sich selber operieren will. Deshalb lasse ich es und setze diese Fähigkeit für meine Arbeit als Texterin und Ghostwriter ein. Dort leistet sie wertvolle Dienste.
Ja, es ist superspannend, sich mit neuropsychologischen und neurobiologischen Forschungen zu beschäftigen. Doch der Glaube, man könne diese Forschungen simplifizieren und als Pseudowissenschaft etablieren, die der Manipulation eines wertegewandelten Verbraucherhirns dient, führt in die Irre.
Fakt ist: Es gibt ihn nicht, »den Verbraucher.« Es gibt auch keine Zielgruppe. Es gibt nur Menschen. Kohlenstoffbasierte Lebewesen mit Herz, Hirn und neurobiologischen bzw. neuropsychologischen Eigenschaften. Diese Menschen haben ein Leben, eine Vergangenheit, ein Jetzt mit Wünschen, Ängsten, Bedürfnissen. Diese lassen sich teilweise zusammenfassen und vereinheitlichen, aber nicht ikonisieren. Sein Gehirn, seine Seele, sein Wesen sind fünfeinhalbdimensional. Sie wollen sich verstanden fühlen. Das gute Gefühl haben, Zeit und Geld in etwas zu investieren, das ihnen guttut. Ob dieses Guttun nun bedeutet, Ängste und Sorgen zu stillen, körperliche oder seelische Schmerzen zu lindern, Gier zu befriedigen oder schlicht das Leben ein wenig angenehmer zu machen? Das können wir nicht wissen. Wir können nur versuchen, ihm entgegenzukommen, diesem mysteriösen »Verbraucher« und ihn dort abzuholen, wo er ist. Ihn also genau NICHT manipulieren, sondern ihm durch einfühlsame, wahrhaftige Worte und Taten die Gewissheit vermitteln, gut aufgehoben zu sein. Vorschlag: einfach spaßeshalber mal »neuro« durch »wahrhaftig« ersetzen. Das könnte die Sache runder machen;-)
Ich würde jetzt mal frech behaupten: Man kann in anderen kein Gefühl erzeugen, das dort nicht schon vorhanden ist ist. (Mal ohne die Regalmeter Psychophysik mir einverleibt zu haben.)
Dennoch ist es auf seltsame Art und Weise möglich, „Bedarf zu generieren“. Wir brauchen ja die meisten Dinge nicht. Weder die neue Plasma-Glotze noch den Geilette Matsch27 Rasierer. Und trotzdem gibt es einen Impuls, das zu kaufen.
Ob nun die Worte die Wirklichkeit formen? Ich bin mir wirklich nicht sicher. Da spielt auch die Sapir-Whorf-Hypothese mit rein und damit am Ende eine grundlegende linguistische Frage: Denkt der Mensch in Sprache, oder denkt er in was anderem? Wenn der Mensch in Sprache denkt, dann bestimmen die Eigenschaften der Sprache auch sein Denken, meinen eben Sapir und Whorf. Und damit: Die gedanklichen Möglichkeiten sind von der jeweiligen Sprache abhängig. Ich halte das für nicht plausibel. Ich denke, die Sprache ist ein Symptom der Gedanken.
Was natürlich nicht heißt, dass Sprache nicht etwas ganz wundervolles ist.
D’accord: Niemand braucht Plasmaglubsche oder Glitschette-Rasierer, synthetischen Lufterfrischer oder Skistöcke zum Spazierengehen (Invaliden ausgenommen.)
Betrachten wir diese Dinge nicht als Dinge, sondern als Metaphern, wird’s vielleicht ein wenig plausibler. Was bedeutet/symbolisiert/bewirkt das Ding? Welches Bedürfnis/Sehnen repräsentiert/symbolisiert/befriedigt es?
Dieses (immer zunächst unbewusste) Sehnen manifestiert sich bei jedem anders. Bei manchen in einer Plasmaglubsche, bei anderen in einem übervollen Kleiderschrank, Designer-Möbeln, einem Putzzwang, einer heimlichen Affäre, einer ehrenamtlichen Tätigkeit, einer Weltreise, einem Konzert oder eine Tüte Chips….
Richtig: Man kann weder Gefühle noch Begehrlichkeiten wecken, die nicht bereits unbewusst vorhanden sind. Man kann Begrifflichkeiten anbieten und gucken, welche davon mit dem unbewusst Vorhandenen in Resonanz treten und ihm dadurch Bewusstheit, Namen, Gestalt, in letzter Konsequenz Dinghaftigkeit, Wirklichkeit verleihen.
Wundervoll finde ich diesen Vorgang in der Tat;-))
Sehr erhellender Text!
Mir fällt dazu in erster Exegese eigentlch nur Wittgenstein ein, der einst mal das Phänomen Sprache (u.a.) so zusammenfasste, als daß er schlicht die These aufstellte, daß die Grenzen der Sprache [eines Individuums] die Grenzen [seiner/] der Welt darstellen. Das kann man ja im Umkehrschluss in etwa auch so lesen, als dass es ein konstitutierendes ETWAS (ontologisch) gibt, daß im Prinzip dann determinstisch für das Bewusstsein insofern „wirkt“, als dass es „Grenzen“ vorzugeben schein. Es ist aber leider zu viele Jahre her, als daß ich da noch thematisch im Stoff stände. Obwohl ich ja nun etwas Lust verspüre, das mal wieder etwas aufzufrischen bzw. neudeutsch, upzudaten, bzw. upzugraden.
Daß Du Dinge so formulieren kannst, daß sie (gezielt?) in Hirn/Herz bzw. Bauch treffen und dort Resonanz entfalten ,halte ich ja für eine etwas gewagte These, wenngleich ich einräume, daß ich genau dieses Phänomen bei mir schon wahrgenommen habe; also aus der Perspektive, als daß ich der „Getroffene“ war. Allerdings würde dies Deiner These widersprechen, daß dies nur im Sinne einer „echten“ Empathie ginge, denn ich war nur Zuhörer (z.B.) einer Lesung und damit wurde ich NICHT persönlich angesprochen. Dennoch traf mich die Sprache aber so, daß sie in mir Resonanz entfaltete, die bei mir soweit geht, daß mein Hirn meint, es müsse sowas wie Botenstoffe ausschütten, für die andere Schokolade essen müssen, oder sich diverses Zeugs reinziehen müssen. Derartiges kann ich aber auch beim Lesen (von Diversem) bei mir feststellen, was dann ja sogar bedeuten würde, dass in der Sprache ontologisch ETWAS sein müsste, was dieses Phänomen hervoruft; und das wären ja dann nicht Timbre, Geschwindigkeit, Lautstärke usw der Sprache. Diese Attribute würde man ja sonst vielleicht(?) eher damit in Verbindung bringen, daß sie die Rezeption von Sprache beeinflussen können…
Irgendwie spannend, dieses Phänomen; aber ich kann mir nicht so recht vorstellen, daß man dies wirklich (von außen) direkt steuern kann… Nun ja, vielleicht sollten wir mal ein Gespräch führen und ich kann ja dann vom Glauben abfallen, wenn ich merke, daß Du es tatsächlich bewusst kannst… *lach*
Greetz,
arso,
…drum schrub ich ja: »Denn ich kann dies nur, wenn’s um die Belange Dritter geht. Sobald ich versuche, es zu meinem eigenen Vorteil zu tun, geht die Sache schief. Ungefähr so wie bei einem Chirurgen, der sich selber operieren will. Deshalb lasse ich es und setze diese Fähigkeit für meine Arbeit als Texterin und Ghostwriter ein.«
In einem wie auch immer gearteten Gespräch mit mir kann sich daher naturgemäß nichts dergleichen »bemerkbar« machen;-)
Soeben las ich den Newsletter einer Plattform zum Thema Neuromarketing. Wieder einmal präsentiert als Heiliger Gral der manipulativen Verkaufe. Über drei Klicks bin ich dann hier gelandet und habe Ihren Beitrag sehr genossen. Offenbar ist Ihnen trotz langjähriger Arbeit in dieser Branche der Blick aufs große Ganze nicht abhanden gekommen. Vielen Dank dafür!
Sie haben Recht, wenn Sie schreiben „es gibt keinen Standardverbraucher, es gibt nur Menschen. Kohlenstoffbasierte Wesen mit Herz und Hirn.“ Wenn dieses Herz und Hirn künftig von Herstellern und deren Werbeagenturen als reelle Größen ernst genommen werden, kann man vielleicht bald auch wieder über intelligente, kreative Werbung staunen. Im Moment ist sie eher ein Ärgernis.
Dankeschön:-))
Auch ich empfinde den aktuellen Kommunikationsduktus in der Werbung als unschön. Wobei mich einerseits die kreative Einfallslosigkeit stört, andererseits die offen zur Schau gestellte Überheblichkeit der betreffenden Marken, Unternehmen und Agenturen gegenüber den Adressaten ihrer Produktionen. Wer seine sogenannte »Zielgruppe« ganz offiziell für doof erklärt und zumüllt, sollte sich nicht wundern, wenn diese sich das nicht gefallen lässt und mit Konsumverweigerung reagiert.