Der bestellbare Günstling: Nachruf auf die deutsche Bühnenszene

Ein pietätvolles »Ruhe sanft in Frieden« wäre unpassend. Es ruht sich nicht sanft auf dem Scherbenhaufen der Systempropaganda. Es herrscht auch kein Frieden im Gedränge, das sich derzeit fehletikettiert als »Comedy« oder »Kommentar« durch die Windungen des medialen Verblödungsapparates schiebt. Fangen wir bei einem Detail an, das ich kürzlich in einer Biografie gelesen habe, und das mir bis dahin nicht bekannt war: mit dem Wort »Promi«.

Es ist offenbar nicht nur die Abkürzung von prominent bzw. Prominente. Als sogenanntes ProMi wurde angeblich das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda bezeichnet, umgangssprachlich auch Propaganda-Ministerium, sprich Promi. Dessen Günstlinge aus Bühnen-, Verlags- und Medienbranche nannte man wenig respektvoll Promis. Es handelte sich dabei um Künstler, die sich als Multiplikatoren für den geisteskranken Stuss, den Goebbels und Kollegen sich ausgedacht hatten, hergaben. Nicht ganz freiwillig natürlich. Wer sich weigerte, galt als kriegsunwichtig und verlor unter Umständen seine berufliche Existenz.

Nun läuft sie wieder, die Promi-Maschine.

Sie quietscht und rumpelt etwas, aber sie läuft. Kriegswichtige Propaganda sollen sie machen, die deutschen Schauspieler, Comedians, Schreiber, Sänger, Musiker, Bühnenmenschen. Und sie tun es. Im Gegensatz zu früher sogar freiwillig. Keine Woche vergeht, ohne dass nicht wenigstens einer von ihnen sich polternd in Szene setzt mit dem Standardsatz »Ich wollte ja eigentlich nicht, aber jetzt muss ich dann doch auch mal was dazu sagen …« Gerne dargeboten in moralintriefenden, an Selbstgefälligkeit kaum zu übertreffenden Video-Clips.

Darin wird nicht nur die eigene angebliche moralische Überlegenheit verkündet, nein, es erfolgt auch ausführliche Volkskörper-Beschimpfung, an der Gustave le Bon seine helle Freude gehabt und vermutlich spontan Band 2 von »Psychologie der Massen« verfasst hätte. Die einst so blühende deutsche Musik-, Comedy- und Bühnenlandschaft, in der Individualität, ungewöhnliche Ideen, Wortwitz, sprachliche Raffinesse und feine, ironisch überhöhte Realitätsbeobachtung hohe Werte darstellten, hat sich selbst brandgerodet.

Ideologische Monokultur

Das Motto lautet: Wir, die Rechtschaffenen und Anständigen gegen die üblen Außenseiter. Ergreift sie, schlagt sie tot, das Pack, die Unangepassten, die Freidenker, die Demonstrierer, die Fragensteller, Selberdenker, Querulanten, Deutschland-Gutfinder, Mohrenkopfbrötchen-Esser, TV-Verweigerer, Zeitungsabo-Kündiger, Rocker, Punks, Sonderlinge. All die, die sich nicht devot einfügen, sie werden pauschal als pöse Nazis kategorisiert, die man wegsperren, mit Berufsverbot belegen, erschießen und sozial ächten müsse. Auf sie mit Gebrüll. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn auch der sprachlich nuancierte Vortrag ist passé. Es wird wieder gebrüllt in Deutschland. In einer Klangfarbe und Semantik, die äußerst ungute Erinnerungen an ein gewisses österreichisches Bartmodell weckt, woran sich aber erstaunlicherweise keiner stört.

Okay, bei manchen TV- und Bühnenmenschen, die noch nie eine eigene künstlerische Identität hatten, überrascht es mich nicht. Verdanken sie doch ihre Medienpräsenz vor allem ihrer Fähigkeit, Entscheidungsträgern in den Anus kriechen und jedes gewünschte Textlein aufsagen zu können. Bei anderen hingegen überrascht, nein, bestürzt es mich durchaus.

Gestern Cellulite-Witze und Männerbashing, heute Agitprop. Und morgen?

Egal, der große Bruder im Wahrheitsministerium wird schon rechtzeitig ein neues Volkskörper-Element bekanntgeben, welches fortan öffentlich zu verachten sei. Immer druff. Feindbild, kennstekennste Feindbild? Klar kennste Feindbild, voll Hammer ey. Ist das Mensch oder kann das weg.

Ja, dem bestellbaren Günstling geht es gut am Tropf der Richtigmach-Industrie. So gut, dass er seine abhanden gekommene künstlerische Identität gar nicht vermisst. Schließlich wird er für seine quasipolitischen Copy-Paste-Phrasen hofiert, bezahlt, beklatscht und gefeiert. Außerdem tun es ihm seine Bühnenkollegen gleich. Ob TV-Gala oder Social Media, ob junger Poetry-Slammer oder alter Kabarett-Hase, ob virtuell oder live: Wann immer ein Agitprop-Modul benötigt wird, der bestellbare Günstling liefert.

Wenn es alle tun, kann es nicht verkehrt sein, oder?

Doch, kann es. Und ganz ehrlich, ihr Günstlinge mit Gitarren, Manuskripten und Mikrofonen: ihr wisst es auch ganz genau. Schließlich war das, was ihr momentan macht, mal euer schlimmster Alptraum. Deshalb reagiert ihr so angefressen, wenn euch jemand ganz sachte am Ärmel zupft und fragt, ob diese scheußliche Agitprop-Nummer wirklich der Gig ist, wegen dem ihr ursprünglich auf die Bühne gegangen seid. Remember? Ihr wolltet rocken. Etwas reißen, eure Ideen in die Welt raushauen, in the face, Punk, der ranschmeißerischen Mainstreamscheiße ganz laut und deutlich den Mittelfinger zeigen. Tja, nun seid ihr die ranschmeißerische Mainstreamscheiße und prügelt auf diejenigen ein, die das machen, was ihr euch nicht mehr traut: ihr eigenes Ding.

Denen, die das tun, gilt mein Respekt. Den verbliebenen kreativen Lichtgestalten, die sich ihre Gesinnung nicht diktieren lassen, ihr künstlerisches Ding durchziehen, sich nicht als meinungsmachenden Schraubenzieher missbrauchen lassen und dem (zugegebenermaßen schwer zu ertragenden) peer pressure der rundgelutschten Kollegen und Verwerter ein herzhaftes »Fickt euch« entgegenschmettern. Es geht ihnen im Moment vielleicht nicht ganz so gut wie sonst. Viel Gegenwind, viel Kritik, aber das lässt sich aushalten. Denn es ist allemal gesünder als das Schicksal des bestellbaren Günstlings: Er wird entsorgt, aussortiert und vergessen, sobald er seine Schuldigkeit getan hat. So sicher wie Regen in Wacken.

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© Kathrin Elfman 2015. 

Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung.

Foto von freeimages.com_CatalinPop

Eine Antwort auf „Der bestellbare Günstling: Nachruf auf die deutsche Bühnenszene

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  1. Ich habe diesen Text eben erst bei Facebook entdeckt und bin platt, dass er 7 Jahre alt ist. Man kann ihn eins zu eins auf heute übertragen. Die bestellbaren Günstlinge hetzen immer noch gegen staatlich verordnete Feindbilder, jetzt sind es die Ungeimpften, Putinversteher und Klimaleugner.

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